Die Liebe kam 1916, mitten im Krieg. Das Stiegelmeyer-Werk in Herford wurde damals teilweise von der Stadt als Garnisonsquartier gemietet – ein Umstand, der den Firmeninhaber Albert Dörnte immer mehr erzürnte. Doch der kurze Aufenthalt des 29-jährigen Soldaten Dietrich von Hollen auf dem Werksgelände war ein Glücksfall, ohne den es das heutige Jubiläum nicht geben würde. Von Hollen, Urgroßonkel der heutigen Gesellschafterin Anja Kemmler, verliebte sich in die Fabrikantentochter Grete Dörnte. Die Beziehung hielt, und 1920 wurde Hochzeit gefeiert.
Für Albert Dörnte war das zunächst sehr vorteilhaft. Dietrich von Hollen aus Martfeld in Niedersachsen war nicht nur ein äußerst talentierter Kaufmann, sondern auch vermögend. Mit der Heirat wurde er sogleich Geschäftsführer und 50-prozentiger Teilhaber. Sein Einsatz und seine Durchsetzungskraft führten das Unternehmen sicher durch ein halbes Jahrhundert.
Doch kaum hatte er sich etabliert, eskalierte erstmals der Generationenkonflikt. Albert Dörnte konnte seinen Schwiegersohn zunehmend weniger leiden, und da das junge Paar kinderlos blieb, sah er sein Unternehmen zudem aus dem Familienbesitz entschwinden. Folglich versuchte er, seinen Sohn Albert junior als Neben-Chef zu installieren und heizte den Streit damit noch mehr an. 1936 hatte Dietrich von Hollen es schließlich geschafft, die Dörntes aus dem Unternehmen herauszukaufen.
Jetzt konnte er Stiegelmeyer als unangefochtener Patriarch führen – autoritär und fürsorglich, gefürchtet und humorvoll zugleich. Von Hollens völlige Identifikation mit seiner Firma zeigte sich etwa nach dem Zweiten Weltkrieg, als britische Offiziere in seinem Haus einquartiert wurden und er mit seiner Frau Grete kurzerhand in eine Ziegelbaracke auf dem Werksgelände zog. Von dort konnte er noch besser einem überraschend gesunden Spleen folgen: seine Mitarbeiter am Rauchen zu hindern. Für seine wichtige Rolle im ostwestfälischen Wirtschaftsleben wurde Dietrich von Hollen 1957 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Eigentlich hatte der vorausschauende Chef auch seine Nachfolge frühzeitig geregelt. Seit den 1940er-Jahren baute er seinen Neffen Fred von Hollen als Erben auf und förderte zudem junge Talente wie Dietrich Tabelander und Hans Wöhrmann, die später erfolgreiche Geschäftsführer wurden. Doch sein aufbrausendes Talent machte die angestrebte Übergabe schließlich zunichte. 1964, als Dietrich von Hollen bereits 77 Jahre alt war, verließ Fred die Firma nach einem heftigen Streit. Ein anderer Neffe sprang ein und rettete die Situation: Hans von Hollen, Abteilungsleiter einer Bremer Bank, entwickelte schnell die gleiche Leidenschaft für Stiegelmeyer wie sein Onkel. Dietrich von Hollen starb 1970, als er mit 83 Jahren einen ganz normalen Arbeitstag absolvierte und gerade Kunden in der Firma begrüßen wollte.
Hans von Hollen setzte die Unternehmensleitung im Stil ähnlich, aber in der Sache moderner fort. Er verwandelte Stiegelmeyer in einen Industriebetrieb auf dem neuesten Stand und führte im Krankenhausbereich erfolgreiche neue Betten wie das Comforta ein, die das Bild der Firma auf Jahrzehnte prägten. Auch in puncto Nachfolge sah zunächst alles viel einfacher aus: Hans von Hollen hatte eine Tochter, Barbara, die in der Schweiz den erfolgreichen Geschäftsmann Max Kemmler geheiratet hatte. Doch der Generationenwechsel gestaltete sich diesmal noch weitaus schwieriger. Das junge Paar wollte mit seinen beiden Kindern nicht aus der Schweiz nach Herford ziehen, und Hans von Hollen lehnte eine „Fernbeziehung“ mit dem Unternehmen kategorisch ab. Als er 1987 starb, hinterließ er ein Testament, das die Befugnisse der von ihm eingesetzten Geschäftsführer zementierte und die eigentlichen Erben weitgehend von Entscheidungen ausschloss.
Trotz einiger wirtschaftlicher Schwankungen hielt das Unternehmen im folgenden Vierteljahrhundert dennoch Kurs, zumal Max Kemmler als Berater letztlich doch Einfluss nahm und z. B. in den 1990er-Jahren die neue Holzproduktion in Thüringen aufbaute. Seine Tochter Anja Kemmler arbeitete zu Beginn des Jahrtausends als Assistentin der Geschäftsführung in Herford und lernte Stiegelmeyer von Grund auf kennen. Ein Höhepunkt dieser Zwischenphase war 2004 der Umzug der Hauptverwaltung vom alten Standort an der Annastraße in ein elegant modernisiertes Bürohaus an der Ackerstraße, das zum Herzstück eines großen Campus wurde.

Doch in den folgenden Jahren wurde das Verhältnis zwischen den mittlerweile neuen, jüngeren Geschäftsführern und der neuen Gesellschaftergeneration immer angespannter. Ab 2011 war Stiegelmeyer dann endlich wieder ein familiengeführtes Unternehmen: Zunächst übernahm Anja Kemmler den Vorsitz eines neuen Beirates, seit 2012 leitet ihr Mann Georgios Kampisiulis Kemmler als Vorsitzender der Geschäftsführung das Unternehmen. Es folgten eine grundlegende Erneuerung der Managementstrukturen, eine Aufwertung des Exports und der internationalen Standorte und eine weitere Modernisierung der Produktion in Nordhausen und in den polnischen Werken Stolno und Kepno.

Heute genießt die Stiegelmeyer-Gruppe auf der Führungsebene das Beste aus beiden Welten: eine starke, engagierte Gesellschafterfamilie, die mit kompetenten Geschäftsführern ihres Vertrauens zusammenarbeitet. Die 125-jährige Erfolgsgeschichte des Unternehmens wäre ohne den Einsatz der Familie Kemmler-von Hollen nicht denkbar.